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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 21.10.2008


Mein Freund aus Faro
Margret Müller

In ihrem Spielfilmdebüt schuf Nana Neul eine sensible Geschichte über die Suche nach der eigenen Identität außerhalb der Grenzen, die von der Gesellschaft gesetzt werden. Ab dem 30.10.08 im Kino.




In einen Dorfteich geworfen, kann ein Steinchen große Kreise ziehen. Es beginnt mit einer kleinen, intuitiven Lüge und kann Wellen auslösen, die erst an den Norm-Steinen des Ufers zerbrechen. In "Mein Freund aus Faro" kommt das Motiv des Wassers immer wieder zum Tragen, sei es der Dorfteich, oder das als ferne Sehnsucht stilisierte Meer Portugals.

Die 22-jährige Melanie lebt mit ihrem Vater und dem Bruder zusammen in der Nähe von Münster. In den Männerhaushalt fügt sie sich perfekt ein. Ihre Liebe gilt ihrem Auto und dem Bruder, der Alltag dem ungeliebten Job in einer Großküche für Flugzeugessen.
Das Einzige, was von der großen weiten Welt zu ihr geflogen kommt, ist der neue Fabrikarbeiter Nuno aus Portugal, den sie dafür bezahlt, dass er sich vor ihrer Familie als ihr Freund ausgibt und sie somit einen Scheinlover hat.

Als die junge Tramperin Jenny - die von ihr in einen Club mitgenommen wird - sie für einen jungen Portugiesen hält, lässt Mel das Mädchen in diesem Glauben und entscheidet später auf der Party, für Jenny der geheimnisvolle Südländer zu bleiben und nennt sich spontan Miguel. Die große weite Welt wird ein Teil von ihr. Das Steinchen war in den Dorfteich geworfen. Wie hätte sie auch ahnen können, dass die Wellen des Kiesels so weite Kreise ziehen würden, sie sich als `Junge` in Jenny verlieben und die wiederum sich in sie bzw. in ihn ...

Melanie/Miguel lässt die Wellen ziehen, versucht sie nicht zurückzuhalten, in Frage zu stellen oder zu stoppen. Sie folgt ihrem Gefühl, das sie ganz eindeutig zu Jenny zieht, ohne zu fragen, warum und wie. Muss oder darf sie als Mann oder Frau lieben? Sie stellt sich diese Frage nicht, sondern liebt geschlechtsfrei. In ihrer Welt existiert der Identifikations- und Geschlechtskonflikt nicht, er ist vielmehr einer der Gesellschaft, der Umgebung von Melanie und Jenny. Eines ist sicher: die Liebe zwischen den beiden existiert. Bezeichnenderweise ist der Strand der Nordsee der Ort, an dem sie erstmals zumindest für einige Stunden alleine und damit frei sind, sich auch körperlich anzunähern.
Die FreundInnen und Familie verstehen die junge Liebe nicht ganz so schrankenfrei, Jennys FreundInnen aus der Neubausiedlung schwören gar Rache, da sie in Melanie einen unliebsamen Konkurrenten wittern. Erst durch Jennys abwehrende Reaktion, nachdem Melanie sich nackt ausgezogen hat und dadurch ihr biologisches Geschlecht offenbar wurde, gerät sie selbst in einen Konflikt. Die Wellen der vormals kleinen Lüge des Anfangs werden zu groß für Melanie/Miguel und ihre Liebe hat keine Möglichkeit in dem kleinen Dorf. Sie beschließt, die Freiheit des portugiesischen Strandes zu suchen...

In dem Film "Boys don`t cry" aus dem Jahr 1999, der die wahre Geschichte des Transboys Brandon Teena erzählt, geht es wesentlich tragischer zu als bei "Mein Freund aus Faro". Während sich Mel/Miguel gegen die Angriffe der Umwelt wehren kann, selbstbewusst ihre/seine Identität auslebt und sich einen Ort sucht, an dem selbstbestimmtes Leben möglich ist, wird Brandon Teena umgebracht.

Regisseurin Nana Neul erzählt in ihrem Spielfilmdebüt sensibel von Mels Suche nach selbstbestimmtem Leben und der Überwindung der Angst vor den Grenzen der gesellschaftlichen Norm. Dafür erhielt sie auf dem Filmfestival Saarbrücken den Max Ophüls Preis 2008 für Drehbuch.

AVIVA-Tipp: Der Film begleitet Melanie (in ihrer nicht einfachen Rolle überzeugend gespielt von der Theaterschauspielerin Anjorka Strechel), bedacht auf der Reise der Geschlechterverwirrung und gibt sanft Antworten auf ungestellte Fragen, ohne zu viele Worte zu verlieren oder zu dramatisch zu werden. Die Handlung bleibt dabei zu konstruiert und führt explizit zu der eigentlichen Aussage des Films: die Überflüssigkeit der dualen Geschlechtereinteilung.

Weitere Informationen unter:
www.meinfreundausfaro.de

Mein Freund aus Faro
Deutschland 2008m 87 Minuten
Regie und Drehbuch: Nana Neul
Produzenten: Ralph Schwingel, Stefan Schubert Hejo Emons und Wüste Film West
DarstellerInnen: Anjorka Strechel, Lucie Hollmann, Manuel Cortez, Florian Panzner, Tilo Prückner, Isolda Dychauk, Kai Malina, Philipp Quest, Julischka Eichel
Verleih: Alpenrepublik GmbH
Kinostart: 30. Oktober 2008

Lesen Sie auch das Interview mit der Regisseurin Nana Neul und das Interview mit der Hauptdarstellerin Anjorka Strechel auf AVIVA-Berlin.


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Beitrag vom 21.10.2008

AVIVA-Redaktion